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Jede Zeit hat seine (TV)-Helden. In den 1970ern war das die Walton-Familie, in den 80ern Michael Knight und sein sprechendes Auto K.I.T.T., in den 90ern die junge Clique aus „Beverly Hills, 90210“. Um nur einige zu nennen. Sie alle hatten gemein: ihre Moral. Das Herz saß am rechten Fleck, und wenn nicht, wurde es innerhalb ein paar Episoden dort hin transportiert, und alles war Friede, Freude, Eierkuchen. Das TV, in vielerlei Hinsicht auch vor 20 Jahren noch in den Kinderschuhen, war der moralischen Vergrößerungsspiegel der Gesellschaft: Hier gab’s larger-than-life-Helden, denen man nacheifern konnte, wollte und sogar ein bisschen musste.

Heute hat sich das geändert. Der moralische Vergrößerungsspiegel wurde zum wirklichen Spiegel, wo nichts mehr verzerrt und beschönigt wird, sondern in dem uns knallhart die Wirklichkeit präsentiert wird. Davon zeugen nicht nur diverse Reality-Shows, die das Leben einfangen wollen, sondern die serielle Narrative selbst, die Geschichten und Figuren in TV-Serien also, die ja eigentlich in fremde Welten entführen und die uns die Gegenwart vergessen lassen sollen. Die uns heute aber mehr als alles andere an unseren eigenen Fehler und moralisch verwerflichen Entscheidungen erinnern.

Denn die Zeit der großen TV-Helden, die aber sowas von alles richtig machen (Alkohol?! Ach wo!), ist vorbei. TV-Serien werden von Anti-Helden regiert, die ihre Fehler und somit ihr Menschlich-Sein nicht nur NICHT verstecken wollen, sondern sogar zelebrieren. Und ihren dunklen Seiten mit Feuereifer (und natürlich jeder Menge Dramatik und Cliffhanger) nachgehen. Da gibt’s den sympathischen Serienkiller Dexter, vielleicht ein Extrembeispiel, aber gutes Exempel dafür, welche Charaktere wir heutzutage in modernen Märchen sehen wollen. Oder die pillensüchtige und ehebrecherische Krankenschwester Jackie. Oder den herumvögelnden Hank Moody. Oder den spielesüchtigen Charlie Harper. Ja, sogar die moralisch zwielichtigen Vampire aus „True Blood“ sind unsere neuen Vorbilder. Von den sexy, aber verzweifelt durchtriebenen Hausfrauen ganz zu schweigen.

Wo das hinführt? Sicherlich nicht in eine Gesellschaft, die sich in die TV-Welt flüchtet, um zu lernen, was man darf und was nicht. Das wissen wir mittlerweile selbst (vielleicht ja dank den Waltons & Co). Vielmehr wollen wir uns selbst als Figur in einer fremden Welt und in absurden Situationen beobachten. Und so wiederum über uns selbst lernen. Nicht, was verboten ist, was sich gehört und was nicht. Sondern darüber, was Menschlich-Sein ausmacht, was uns antreibt und wie wir wachsen können. Bisschen Psychoanalyse also. Dafür war das TV nie besser geeignet als heute.